Zum Verhältnis von Strafrecht und Angewandter Kriminologie

Der Gesetzgeber hat an zentralen Stellen des Straf- und Strafverfahrensrechtes von einer Regelungstechnik Gebrauch gemacht, die eine Vielzahl von unbestimmten Rechtsbegriffen enthält und (vor allem den Gerichten) große Ermessensspielräume eröffnet:

Begriffe wie die zu erwartenden Wirkungen der Strafe, Beweggründe und Ziele des Täters, seine Gesinnung und Wille, Art und Ausführung der Tat, sein Vorleben und seine persönlichen Verhältnisse im Blick auf die Strafzumessung (§ 46 StGB) sowie in etwa dieselben Begriffe und die Persönlichkeit des Verurteilten, Umstände der Tat im Blick auf die Chancen der Legalbewährung (§§ 56, 57) entziehen sich juristischer Dogmatik und erfordern empirisches, spezifisch kriminologisches Wissen.

Dies gilt in noch viel stärkerem Maße für das gesamte Jugendstrafrecht, weil hier bereits die Voraussetzungen der Strafbarkeit (§ 3 JGG – reifebedingte Einsichts- und Steuerungsfähigkeit) bzw. die Voraussetzungen einer Jugendstrafe (§ 17 JGG – Schädliche Neigungen, Schwere der Schuld) oder die Anwendung des Jugendstrafrechts auf Heranwachsende (§ 105 JGG – sittliche und geistige Entwicklung, Jugendverfehlung) unter dem Vorbehalt eines empirischen Befundes stehen, den Staatsanwaltschaft und Gericht zu prüfen und die Ausführungen der Jugendgerichtshilfe mit eigener Sachkunde zu bewerten haben.

Für all diese genannten Bereiche ist die (Angewandte) Kriminologie die zuständige empirische Wissenschaft, soweit (wie in den allermeisten Fällen) beim Täter keine psychiatrischen Auffälligkeiten etwa im Sinne §§ 20, 21 StGB vorliegen.

(Ausbildungs-)Inhalte der Angewandten Kriminologie:

  • kriminell gefährdendes und resilientes Verhalten im familiären, Aufenthalts-, Leistungs-, Freizeit- und Kontaktbereich (Lebenslängsschnitt), z. B. als Anknüpfungstatsachen für das Vorliegen schädlicher Neigungen oder für die „Einschätzung der Täterpersönlichkeit“
  • Einschätzung der Zielstrebigkeit im Delinquenzbereich, einschl. Vor- und Nachtatverhaltens, z. B. als Anknüpfungstatsache für die Einschätzung der Schwere der Schuld bzw. die Bewertung der Tatumstände wie Art und Ausführung der Tat
  • der Zeitraum vor der Tat (Lebensquerschnitt); Einschätzung des aktuellen Lebenszuschnitts, z. B. im Blick auf die Chancen einer Bewährung
  • Relevanzbezüge und Wertorientierung, z. B. als unterstützende bzw. behindernde Faktoren für erfolgreiche Intervention
  • die Stellung der Tat im Lebenslängsschnitt, als Basis der grundsätzlichen Sozialprognose
  • Inidviduelle Basisprognose und Interventionsprognose, als Grundlage z. B. von Bewährungsentscheidungen und spezialpräventiven Interventionen